Die Bedeutung der Kultur in der Transformation

Transformation scheitert oft nicht an Strategien, sondern an der Kultur. Edgar Schein, einer der einflussreichsten Denker in der Organisationspsychologie, hat dazu klare Erkenntnisse geliefert. Seine Modelle zeigen: Kultur ist kein Zufall. Sie ist ein System aus tief verwurzelten Annahmen, die bewusst gestaltet werden können – oder sollten.

Schein’s Kulturmodell: Die drei Ebenen

Edgar Schein beschreibt Kultur in drei Ebenen, die wie eine Zwiebelschale aufgebaut sind. Jede dieser Schichten spielt eine Rolle in der Transformation:

1. Artefakte

Die sichtbare Ebene: Rituale, Architektur, Kleidung oder Unternehmenssprache. Beispiel: Open-Space-Büros und Stand-up-Meetings signalisieren Agilität. Aber Artefakte alleine verändern keine Kultur. Sie sind nur Symbole.

2. Bekundete Werte

Das formulierte Selbstverständnis: Visionen, Leitbilder und Prinzipien. Diese Ebene beschreibt, wie die Organisation sich selbst sieht – oder sehen will. Beispiel: „Wir fördern Innovation und Zusammenarbeit.“ Doch oft klafft hier eine Lücke zwischen Anspruch und gelebter Realität.

3. Grundannahmen

Die unsichtbare Basis: Diese Überzeugungen und Werte sind so tief verankert, dass sie nicht hinterfragt werden. Sie prägen das Verhalten automatisch. Beispiel: „Fehler sind ein Zeichen von Inkompetenz.“ Solche Annahmen müssen für eine echte Transformation bewusst gemacht und hinterfragt werden.

Wie Schein Kultur in der Transformation erklärt

Schein betont, dass Kultur vor allem durch Führungsverhalten geprägt wird. Führungskräfte sind nicht nur Beobachter, sondern aktive Gestalter von Kultur. Ihre Entscheidungen, Handlungen und Kommunikation bestimmen, was akzeptiert wird – und was nicht.

Primäre Mechanismen der Kulturgestaltung

Laut Schein beeinflussen Führungskräfte die Kultur durch folgende zentrale Mechanismen:

Was wird belohnt oder bestraft?

Wenn Innovation belohnt wird, ist sie Teil der Kultur. Wenn Fehler sanktioniert werden, bleibt Risikoscheu vorherrschend.

Wie werden Ressourcen verteilt?

Zeit, Budget und Personal verraten, was wirklich wichtig ist. Wer in Projekte investiert, die neue Werte stärken, sendet ein klares Signal.

Welche Geschichten werden erzählt?

Anekdoten und Erzählungen formen die Wahrnehmung. Eine Geschichte über den Mut eines Mitarbeitenden, der scheiterte, aber dennoch Anerkennung erhielt, kann Kultur nachhaltig prägen.

Sekundäre Mechanismen: Unterstützende Strukturen

Strukturen, Prozesse und Symbole untermauern die primären Mechanismen. Ein Beispiel: Die Einführung von agilen Methoden unterstützt eine Kultur der Flexibilität – aber nur, wenn diese Strukturen mit den Grundannahmen der Organisation übereinstimmen.

Kulturelle Transformation nach Schein: Der Lernprozess

Kulturelle Veränderungen erfordern laut Schein zwei Arten des Lernens:

1. Unlearning (Verlernen)

Alte Grundannahmen müssen hinterfragt und abgelegt werden. Das ist schmerzhaft, aber notwendig. Beispiel: Ein Unternehmen mit starren Hierarchien muss die Annahme „Nur Führungskräfte treffen Entscheidungen“ loslassen, um Agilität zu leben.

2. Relearning (Neulernen)

Neue Werte und Überzeugungen entstehen durch Erfahrungen. Dabei hilft es, kleine Experimente zu wagen, die den neuen Prinzipien entsprechen. Diese Erfolge schaffen Vertrauen und fördern Akzeptanz.

Kommunikation als Hebel der Kulturtransformation

Kommunikation als Hebel der Kulturtransformation

Schein unterstreicht, dass Kommunikation der Schlüssel ist, um Kultur sichtbar zu machen und zu verändern. Doch nicht jede Kommunikation wirkt gleich. Entscheidend sind Authentizität und ein tiefer Dialog.

Die Rolle von Dialogen

Dialog ist mehr als Informationsaustausch. Er schafft Raum für Reflexion und Verständnis. Schein betont, dass Dialoge helfen, die Grundannahmen einer Organisation offenzulegen. Erst wenn diese sichtbar werden, können sie verändert werden.

Fragen statt Antworten liefern

Führungskräfte sollten Fragen stellen, die Denkmuster aufbrechen. Beispiele:

• „Warum machen wir das eigentlich so?“

• „Was wäre, wenn wir es anders angehen würden?“

Solche Fragen öffnen Perspektiven und fördern eine Kultur des Nachdenkens.

Psychologische Sicherheit als Basis

Schein teilt die Ansicht von Amy Edmondson, dass psychologische Sicherheit essenziell ist. Mitarbeitende müssen sich sicher fühlen, um offen über Grundannahmen zu sprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Nur in einem solchen Umfeld können alte Überzeugungen hinterfragt und neue Werte entwickelt werden.

Innovative Ansätze inspiriert von Schein

Die Arbeit von Schein lässt sich mit modernen Kommunikationsansätzen kombinieren. Beispiele:

Cultural Probes

Mitarbeitende dokumentieren ihren Arbeitsalltag durch Fotos, Tagebücher oder Videos. Die Ergebnisse zeigen kulturelle Muster auf und regen Diskussionen an.

Reverse Mentoring

Jüngere Mitarbeitende coachen Führungskräfte. Dadurch entstehen neue Perspektiven und der Dialog wird gefördert.

Shadowing

Führungskräfte begleiten Mitarbeitende, um deren Alltag und kulturelle Herausforderungen besser zu verstehen. Dies schafft Empathie und zeigt, wo Kulturarbeit ansetzen muss.

Messung und kontinuierliche Entwicklung

Schein argumentiert, dass Kultur nicht statisch ist. Sie entwickelt sich ständig weiter. Messinstrumente wie Kultur-Audits, Mitarbeiterbefragungen oder Workshops helfen, Fortschritte sichtbar zu machen. Doch Zahlen allein genügen nicht. Entscheidend ist, dass die Ergebnisse in Handlung überführt werden.

Fazit: Kultur als Fundament der Transformation

Edgar Scheins Modelle zeigen: Kultur ist komplex, aber nicht unveränderlich. Sie ist der unsichtbare Motor jeder Transformation – oder die unsichtbare Bremse. Die Arbeit an der Kultur erfordert Geduld, Offenheit und den Mut, alte Überzeugungen loszulassen. Kommunikation ist dabei der Schlüssel. Nur wenn sie ehrlich, dialogorientiert und auf allen Ebenen verankert ist, kann sich Kultur nachhaltig verändern.