Es ist Montagmorgen in der Konferenzetage von Hansen & Söhne, einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen irgendwo in Süddeutschland. Die Sonne strahlt durchs Fenster, doch die Stimmung im Raum ist schwerer als der Stahl, den das Unternehmen seit über 80 Jahren verarbeitet. Der neue CEO, frisch aus der Unternehmensberatung, hat die große Veränderung angekündigt, den Change-Prozess. „Transformation“, sagt er. „Digitalisierung“, ruft er. „Agilität“, verlangt er. Was er nicht ahnt: Er steht kurz vor einem langwierigen Kampf gegen das größte Hindernis in deutschen Unternehmen – die Macht des Bewährten.
Hansen & Söhne beschäftigt 250 Mitarbeiter, viele davon schon seit Jahrzehnten im Betrieb. Hier kennt jeder jeden, die Prozesse laufen wie eine gut geölte Maschine – zumindest, wenn man die Geräusche ignoriert, die ab und zu aus dem Maschinenraum kommen. Die Umsätze stagnieren seit Jahren, aber wirklich schlecht ging es der Firma nie. Deshalb fragt sich so mancher: Warum sollten wir jetzt alles umkrempeln? Aber der neue CEO ist überzeugt: Nur ein radikaler Change-Prozess kann das Unternehmen in die Zukunft retten.
Erste Runde: Die Kick-Off-Veranstaltung zum Change-Prozess
Es beginnt mit einer großen Kick-Off-Veranstaltung. Im Konferenzraum stehen frische Brötchen, Kaffee und Säfte bereit. Flipcharts und PowerPoint-Präsentationen sollen den Ernst der Lage unterstreichen. Der CEO erklärt: „Wir müssen uns neu erfinden, sonst werden wir von der Konkurrenz überholt.“ In der ersten Reihe sitzt Herr Müller, Abteilungsleiter der Produktion seit 1985, mit verschränkten Armen. Seine Mimik spricht Bände: „Junge, das haben wir alles schon gehört.“
Schon hier läuft etwas schief. Während der CEO von „Change-Management“ spricht, hört Müller „Das hier ist das Ende.“ Und er ist nicht der Einzige. Studien zeigen, dass etwa 70 % aller Change-Prozesse scheitern. Häufigster Grund: mangelnde Kommunikation. Oder wie in diesem Fall – eine falsche Art der Kommunikation. Statt die Mitarbeiter mitzunehmen, wird Druck gemacht. Statt Fragen zu stellen, werden Antworten gegeben.
Zweite Runde: Die Führungskräfte-Schulung
Der CEO ahnt noch nicht, dass die eigentlichen Blockierer nicht die Mitarbeiter an den Maschinen sind, sondern die Führungskräfte. Sie sollen die Veränderung vorantreiben, doch sie sehen sich eher als Bewahrer des Status quo. In einem dreitägigen Workshop sollen sie lernen, ihre Abteilungen „agil“ zu führen. „Agilität“ ist das neue Zauberwort, doch es klingt für Herrn Müller wie „Chaos“. Die Trainerin erklärt das Prinzip der Eigenverantwortung: Teams sollen selbst Entscheidungen treffen, flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege. Müller denkt nur: „Das wird doch ein heilloses Durcheinander.“
Die Führungskräfte nicken. Sie haben die Worte verstanden, doch die Bedeutung bleibt diffus. Ein Klassiker im Change-Management: Viele Begriffe werden inflationär benutzt, ohne dass wirklich klar ist, was sie bedeuten. „Agilität“ ist in diesem Zusammenhang oft das Synonym für „schneller, flexibler, besser“. Doch für viele Führungskräfte bedeutet es nur eins: „Ich verliere die Kontrolle.“
Dritte Runde: Die Einführung des neuen ERP-Systems
Die erste große Veränderung betrifft das ERP-System. Das alte System hat schon 20 Jahre auf dem Buckel, aber es funktioniert – irgendwie. Doch der CEO besteht auf ein neues, digitales Allheilmittel. Das Problem: Die IT-Abteilung besteht aus zwei Personen, beide über 50. Ihre Antwort auf die Umstellung lautet: „Das läuft schon.“ Eine Studie von McKinsey zeigt, dass 75 % der Unternehmen, die neue Technologien einführen, die damit einhergehenden organisatorischen Veränderungen unterschätzen. Bei Hansen & Söhne ist das nicht anders. Die IT-ler sind überfordert, die Schulungen dauern ewig, und am Ende nutzen die Mitarbeiter das System nur sporadisch. Warum auch? Das alte funktioniert doch.
Die Kunst des Missverständnisses
Kommunikation im Change-Prozess: Die Kunst des Missverständnisses
Der zentrale Punkt, an dem dieser Change-Prozess scheitert, ist die Kommunikation. Laut einer Studie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg scheitern 65 % aller Veränderungsprozesse an unzureichender Kommunikation. In vielen Unternehmen wie Hansen & Söhne herrscht eine Top-Down-Kommunikation. Die Führungsebene bestimmt die Richtung, die Mitarbeiter müssen folgen. Doch Veränderung ist kein Einbahnstraßen-Projekt. Wer die Belegschaft nicht frühzeitig ins Boot holt, riskiert, dass der Prozess verpufft – oder auf Widerstand stößt.
In der Realität fühlen sich die Mitarbeiter nicht ernst genommen. Ihre Bedenken und Fragen bleiben unbeantwortet. Während der CEO in seinen Präsentationen von der „digitalen Revolution“ spricht, macht der Maschinenführer sich Sorgen, ob er seinen Job in zwei Jahren noch haben wird. Doch genau darüber wird nicht gesprochen. Stattdessen gibt es Meetings, in denen von „Synergien“ und „Wachstumspotenzialen“ die Rede ist – Begriffe, die keiner so recht greifen kann.
Die unsichtbare Front: Der Flurfunk
Offiziell läuft der Change-Prozess bei Hansen & Söhne gut. In den PowerPoint-Präsentationen wird die erfolgreiche Implementierung der ersten Maßnahmen gefeiert. Doch der wahre Prozess spielt sich auf den Fluren ab. Hier kursieren Gerüchte: „Wird es bald Entlassungen geben?“ „Müssen wir jetzt alle Informatiker werden?“ Der Flurfunk, so zeigt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, ist in deutschen Unternehmen oft die wichtigste Informationsquelle. Wenn die offizielle Kommunikation nicht funktioniert, suchen sich die Mitarbeiter ihre eigenen Erklärungen – und diese sind selten positiv.
Der CEO versucht gegenzusteuern und veranstaltet eine „Fragerunde“. Die Mitarbeiter dürfen anonym Zettel mit ihren Fragen abgeben. Doch was kommt zurück? „Wann gibt’s wieder Weihnachtsgeld?“ und „Wird der Kaffee jetzt auch digitalisiert?“ Die Fragen sind sarkastisch, der Frust ist groß. Und der CEO? Ist ratlos. Er hat den Change-Prozess als eine Frage der Strategie verstanden, aber nicht als soziale Dynamik. Eine häufige Fehlannahme: Veränderung lässt sich nicht verordnen. Sie muss gelebt werden.
Heldengeschichten aus dem mittleren Management
Mittendrin in diesem Chaos sitzt Frau Schmitz, die Personalchefin. Sie ist seit zwei Jahren im Unternehmen und weiß genau, dass sie eigentlich die zentrale Figur in diesem Prozess sein sollte. Aber sie steht zwischen den Stühlen. Einerseits versucht sie, die Vorgaben der Geschäftsleitung umzusetzen, andererseits muss sie den Frust der Mitarbeiter abfedern. Sie weiß: Ohne die Menschen wird dieser Wandel nicht funktionieren. Doch der CEO hört nicht auf sie. Er redet von Prozessen und Systemen, während Schmitz die Stimmung in den Pausenräumen spürt.
Schmitz erinnert sich an eine Studie der Unternehmensberatung Gallup, die besagt, dass nur 15 % der deutschen Arbeitnehmer emotional an ihr Unternehmen gebunden sind. Sie weiß: Wenn sie diesen Change-Prozess erfolgreich gestalten will, muss sie die emotionale Bindung der Mitarbeiter stärken. Doch dafür fehlt ihr die Rückendeckung.
Und am Ende bleibt … das Alte
Nach einem Jahr steht der CEO vor der Belegschaft und bilanziert. „Wir haben viel erreicht“, sagt er, „aber noch nicht genug.“ Die ersten Digitalisierungsmaßnahmen sind umgesetzt, das neue ERP-System läuft – irgendwie. Aber die Prozesse sind immer noch dieselben. Die Hierarchien sind unverändert, und von Agilität ist keine Spur. Der CEO will weitermachen, doch im Unternehmen hat man längst die Lust verloren. Die Führungskräfte wie Müller machen nur noch das Nötigste. In den Abteilungen herrscht Resignation.
„Das haben wir schon immer so gemacht“, sagt Müller und schmunzelt. Der Change-Prozess? Ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte von Hansen & Söhne. Eine Geschichte, die sich wiederholt – nicht nur hier. Denn laut einer Studie der Harvard Business Review sind 70 % der Change-Initiativen weltweit zum Scheitern verurteilt. Die Gründe sind überall die gleichen: Widerstand der Mitarbeiter, mangelnde Kommunikation, überforderte Führungskräfte und unrealistische Erwartungen.
Fazit: Der Change-Prozess als Lehrstück
Hansen & Söhne ist kein Einzelfall. Viele mittelständische Unternehmen in Deutschland stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Sie kämpfen mit veralteten Strukturen, fehlender Flexibilität und dem Widerstand gegenüber Veränderungen. Doch die Lektion, die aus diesem fiktiven Beispiel gezogen werden kann, ist klar: Change-Management ist kein rein technisches oder strategisches Problem – es ist vor allem ein kommunikatives und menschliches.
Wer die Mitarbeiter nicht mitnimmt, wer ihre Sorgen ignoriert und wer glaubt, dass Veränderung von oben nach unten durchgedrückt werden kann, der wird scheitern. Oder, wie es Müller formuliert: „So jung kommen wir nicht mehr zusammen.“
Wenn Ihnen diese Geschichte bekannt vorkommt, sollten wir miteinander sprechen. Es geht auch anders.