Die Corona-Pandemie: ein Change-Prozess im Macro-Maßstab

Die Corona-Krise hat sich zum größten Change-Prozess weltweit entwickelt. In ungeahnter Geschwindigkeit wurden Lebensumstände und Gewohnheiten eingeschränkt und es reift die Erkenntnis, dass dies nicht nur ein kurzer temporärer Einschnitt sein wird. Betrachtet man die aktuelle Situation aus der Perspektive der Change-Theorie zeigt sich, dass die Kübler-Ross-Kurve der Veränderungsphasen auch auf der ganz großen Macro-Ebene ihre Bestätigung findet. Und ein weiterer Change-Standard wird bestätigt: ohne Vision findet Veränderung keine Akzeptanz.

Die Kübler-Ross-Kurve ist ein Standard in der Theorie von Change-Prozessen. Sie beschreibt verschiedene Phasen, die Menschen bei Veränderungsprozessen durchlaufen und lässt sich auch in der aktuellen Pandemie anwenden:

Die Vorahnung

Als im Dezember 2019 die ersten Meldungen über den Corona-Virus aus China bekannt wurden, herrschte in Europa zunächst noch entspannte Ruhe. Erst als immer mehr Infektionen außerhalb Chinas bekannt wurden, setzt eine Vorahnung ein, dass eine Pandemie auch Auswirkungen auf Europa und Deutschland haben könnte. Doch allzu viel gaben die meisten Menschen auf Warnungen nicht. Auch dann noch nicht, als Ende Januar die ersten Infizierten aus Bayern gemeldet wurden. Und es gab dazu auch nicht viel Anlass, schließlich hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) am 22. Januar noch erklärt, „dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können“ und dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreiten würde. Und abgesehen davon ist Wuhan mehr als 8.000 km von Deutschland entfernt.

Das Leugnen

Zwei Monate später schätzte das RKI die Lage völlig anders ein und in Deutschland galt ein umfassendes Kontaktverbot. Dem Schock über die einschneidenden Maßnahmen folgte ein vielstimmiges Leugnen, dass diese veränderte Situation lange anhalten werde. Weder könne die Wirtschaft mit den Folgen leben noch lasse sich ein soziales Leben in dieser Form aufrecht erhalten. Hinzu kamen diverse Versuche, die Gefahr durch Corona zu relativieren oder zu negieren. Statistiken mit Influenza-Toten und ähnliches wurden als Beweise angeführt, um zu zeigen, dass die Situation eigentlich wie immer ist und es keiner Veränderungsmaßnahmen bedarf.

Die Frustration

Ein weiterer Monat später hat sich an der Situation grundlegend nichts geändert. Einige Maßnahmen werden gelockert, andere wie die Maskenpflicht kommen neu hinzu. Es setzt bei vielen Menschen Frustration ein, denn sie erkennen, dass sich ihre Lebensumstände grundsätzlich verändert haben und es auch keine realistische Perspektive für eine schnelle Rückkehr zum vorherigen Status-quo gibt. Manche reagieren wütend und kündigen an, die strengen Vorschriften nicht länger zu beachten. Andere entwickeln Dystopien. Es ist die Hochzeit für Verschwörungstheorien und Retter. Grundsätzlich aber reift die Erkenntnis, dass der begonnene Veränderungsprozess nicht mehr aufzuhalten ist.

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Die Verzweiflung

Der gefühlte Tiefpunkt des durch das Virus ausgelösten Change-Prozesses wird noch kommen. Die wirtschaftlichen Folgen werden sich in den kommenden Monaten zeigen und es wird nicht wenige hart treffen. Die grundsätzliche Diskussion, die im Umgang mit dem Corona-Virus geführt wird, bleibt eine moralische Frage: wie viele Tote sind wir bereit für unseren Wohlstand zu akzeptieren? Die Antwort auf diese Frage kann niemand geben. Und die Verantwortung dafür wird niemand übernehmen wollen. Deshalb wird es zu tiefgreifenden Verwerfungen kommen je länger der aktuelle Zustand herrscht und Verzweiflung wird ein weitverbreitetes Gefühl sein.

Die Gewöhnung

Wenn das Tal der Tränen durchschritten ist, wird ein Gewöhnungsprozess einsetzen. Man arrangiert sich mit der veränderten Situation. Zum Teil geschieht dies schon jetzt. War Homeoffice vor zwei Monaten noch ein umstrittenes Konzept, technisch angeblich oft gar nicht umsetzbar und von vielen skeptisch als Homeurlaub abgewertet, hat das umfassende Kontaktverbot dazu geführt, dass Homeoffice innerhalb weniger Tage zum Standard geworden ist. Videokonferenzen sind mittlerweile so alltäglich, dass niemand mehr darüber nachdenkt, welche Nachteile damit verbunden sein könnten. Das sind Entwicklungen, die auch nach dem Ende des Kontaktverbots nicht zurückgedreht werden können. Sie werden langfristig Einfluss darauf nehmen, wie wir miteinander arbeiten. Und so werden sich auch in diesem Change-Prozess in vielen Bereichen Veränderungen ergeben, je mehr sich die Menschen an die veränderte Situation gewöhnen und lernen damit umzugehen.

Die Akzeptanz

Schließlich wird es Vorreiter geben, die Vorteile erkennen, die sich aus den veränderten Bedingungen ergeben und diese in Angebote fassen. Mit diesen Vorteilen und neuen Angeboten setzt eine Akzeptanz der Veränderung ein, weil deutlich wird, dass mit der richtigen Einstellung positive Effekte erzielt werden können. Unabhängig davon, wann ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird – und das wird wohl nicht mehr in diesem Jahr sein – ist es unwahrscheinlich, dass es eine Rückkehr zum Leben wie im Jahr 2019 geben wird. Der Veränderungsprozess hat begonnen und wird aktuell im Macro-Maßstab durchlaufen.

Change-Prozess: Was fehlt ist die Vision

Neben der Feststellung, dass sich die aktuelle Situation anhand der Kübler-Ross-Kurve anschaulich beschreiben lässt, ist ein weiterer Punkt aus der Change-Theorie sichtbar: Dem Change-Prozess fehlt die Vision. Das ist natürlich nicht weiter verwunderlich, da dieser Change-Prozess aufgezwungen und ungeplant begonnen wurde. Dennoch macht sich die fehlende Vision in der aktuellen Debatte um das sogenannte Ausstiegsszenario schmerzlich bemerkbar. Die auf der politischen Ebene herrschende Vielstimmigkeit verdankt sich vor allem der Tatsache, dass es keine gemeinsame Vorstellung von einer zukünftigen Situation gibt. Und das führt zu dem, was auch bei Veränderungsprozessen in Unternehmen bei fehlender oder falscher Kommunikation zu beobachten ist: Unzufriedenheit und Widerstand. Wer nicht aufzeigen kann, welchen (finalen) Sinn ein verändertes Verhalten hat, überzeugt nicht. Durchsetzen von Veränderungen par ordre du mufti ist nicht nachhaltig und führt oft zum Gegenteil des Gewollten. Auch Angst kann Sinn nur zeitweise ersetzen.

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Von Macro zu Micro

Was sich im Moment noch auf der Macro-Ebene Deutschland abspielt, wird in absehbarer Zeit die Micro-Ebene der Unternehmen erreichen. Und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen werden Unternehmen Antworten geben müssen, wie Arbeit künftig organisiert wird. Die neuen Möglichkeiten sind nun großflächig da. Jetzt müssen Ideen entwickelt werden, wie diese auch ohne angeordnetes Kontaktverbot so genutzt werden, dass möglichst alle davon profitieren. Gerade beim Thema Employer Branding wird dies eine wichtige Rolle spielen.

Zum anderen wird sich für viele Unternehmen die Frage stellen, wie Kommunikation mit und nach Corona aussehen muss. Die xte Kampagne „Wir machen auch in Corona-Zeiten unseren Job“ erfüllt nicht mehr ihren Zweck. Studien zeigen bereits, dass die Zustimmung zu Werbung, die den Zusammenhalt der Menschen und den Beitrag von Marken in der Krise betonen, sinkt. Das „Wir“ tritt wieder hinter das „Ich“ zurück. Und so wie es in jedem Veränderungsprozess wesentlich ist, dem Einzelnen klar zu machen, was für ihn im Prozess drin ist, müssen Unternehmen nun nach Innen deutlich machen, wie die Belegschaft profitieren kann, und nach Außen zeigen, welchen Beitrag die eigene Marke für den Einzelnen in Corona-Zeiten und danach leistet.

Eine der grundlegenden Funktionen von Marken ist es, (auch im Change-Prozess) Orientierung zu geben. Wer es nicht schafft, dies für die veränderten Rahmenbedingungen zu antizipieren, wird als Marke an Bedeutung verlieren. Gerade Unternehmensmarken stehen deshalb jetzt vor einer besonderen Herausforderung. Im Moment müssen sie zeigen, welchen Beitrag sie zur Bewältigung der Pandemie leisten, um dann in Nach-Corona-Zeiten darauf aufbauend mit einem höchstwahrscheinlich veränderten Anspruch an die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen umgehen und eine sinnstiftende Kommunikation bieten zu können.

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