Der Mensch im Fokus: Leitbilder im DAX

Unternehmensleitbilder erleben aktuell eine Renaissance. Viele Unternehmen definieren den Rahmen ihrer Aktivitäten neu, um für die Anforderungen der Digitalisierung gerüstet zu sein. Unter den DAX-30-Unternehmen hat der überwiegende Teil ein aktuelles Leitbild veröffentlicht. Eine Durchsicht der Leitbilder im DAX zeigt, dass die großen deutschen Unternehmen sich auf den Menschen besinnen: Als Kunde und Mitarbeiter dominiert er die veröffentlichten Leitbilder. Schlagworte wie Innovationen, die vor einigen Jahren noch das Bild bestimmten, sind deutlich in den Hintergrund gerückt. Dafür rücken Begriffe wie Lösungen stärker in den Blickpunkt, die häufig für einen umfassenderen Ansatz stehen. Die Unternehmen begreifen sich in einer komplexer werdenden Welt immer stärker als Lösungsanbieter für ihre Kunden, wobei das Lösungsangebot sich nicht immer auf die klassischen Kernkompetenzen des Unternehmens beschränken muss.

Am deutlichsten wird ein verändertes Selbstverständnis im Automobilbereich, wo sich Produzenten und Zulieferer künftig als Mobilitätsdienstleister sehen. Hier scheint es Unternehmen übergreifend eine vergleichsweise klare Vorstellung davon zu geben, welche Anforderungen auf die Branche zukommen und wie darauf reagiert werden soll. Ähnlich wird in der Energiebranche bei E.ON formuliert, in der der Wechsel vom Energielieferanten zum Partner für Energielösungen proklamiert wird. Auch die Deutsche Bank möchte Partner der Kunden sein und geschaffene Werte fair teilen. Oder auch bei Siemens, wo man es als Aufgabe beschreibt, den Kunden in die Lage zu versetzen, Maßstäbe zu setzen. Bei all diesen Unternehmen steht die Dienstleistung für den Kunden im Vordergrund. Produktionsleistung, Lieferketten oder vergleichbare Aspekte sind aus den Leitbildern verschwunden. Sie bieten keinen Ansatz mehr, sich gegenüber dem Wettbewerb zu differenzieren und sind heute schlichtweg Standard.

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Leitbilder im Dax

Leitbilder im DAX: Innovationsbegriff verliert an Bedeutung

Auch die vielbeschworenen Innovationen, die lange Zeit viele Leitbilder dominiert haben, rücken in den Hintergrund. Zwar werden sie noch in fast allen Leitbildern erwähnt, aber in der Regel sind sie zu Adjektiven degradiert, die noch in einem Nebensatz untergebracht werden mussten. Zu sehr sind auch Neuentwicklungen Bestandteil des Alltags geworden. Und seitdem Smartphones im Rhythmus von sechs Monaten neu auf den Markt kommen, ist es generell schwierig geworden, mit dem Begriff innovativ zu arbeiten. Eine Ausnahme macht hier RWE bzw. innogy, wo „Innovation gelebt“ wird. Hier ist man offensichtlich eine Stufe hinter den anderen Unternehmen hinterher, denn auch der Kunde spielt im veröffentlichten Leitbild noch keine Rolle. Auch die Idee einer Partnerschaft findet sich nicht. Unterschwellig scheint man sich des Nachholbedarfs jedoch bewusst zu sein, denn „Wandel zu gestalten“ wird ausdrücklich als Aufgabe formuliert. Bei den anderen DAX-Unternehmen tauchen begriffe wie Wandel oder Change in den veröffentlichten Leitbildern so gut wie gar nicht auf. Eine Kultur, die mit dem beständigen Wandel umgehen kann, wird hier offensichtlich bereits auf breiter Front vorausgesetzt. Inwieweit Anspruch und Wirklichkeit kongruent sind, sei dahingestellt.

Die Veränderung in den strategischen Zielsetzungen wird begleitet von neuen Schwerpunkten in der Unternehmenskultur. Leistung bzw. Leistungsbereitschaft und Kompetenz werden verdrängt von Respekt und Vertrauen. Wertschätzung und Verantwortung ergänzen das Begriffspaar um zwei weitere Termini, die eine veränderte Einstellung zur modernen Arbeitswelt zum Ausdruck bringen und den Partner-Gedanken von der strategischen Vision in den Arbeitsalltag bringen.

Werte der Unternehmenskultur

Dass auch Integrität für die Leitbilder im DAX einen hohen Stellenwert hat, darf vermutlich aktuellen Unternehmenskrisen zugeschrieben werden. Aber es korrespondiert mit der sparsamen Verwendung des Leistungsbegriffs. Das schwierige Austarieren von Werte- und Leistungskultur sorgt aktuell dafür, dass Werteorientierung eindeutig betont wird. Aber auch hier gibt es noch Gegenbeispiele wie Continental, die formulieren: „Wettbewerb ist unsere Welt, Spitzenleistung unser Ziel.“ Um dann wenig später anzufügen: „Wir überwinden Widerstände und Grenzen.“ Eine eher unglückliche Aussage im aktuellen Kontext. Auch wenn sie sicherlich nicht als Aufforderung zu unethischem Verhalten gemeint ist, wird hier deutlich wie schmal der Grat zwischen Werte- und Leistungskultur ist. Bei Henkel hat man dies besser erkannt und eine geschickte Brücke geschlagen: „Jeder Mitarbeiter geht mit gutem Beispiel voran, übernimmt Verantwortung für seine individuelle Entwicklung, handelt stets integer und richtet sein Verhalten und seine Leistung immer an den höchsten Standards aus.“

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Kulturen für die Generationen Y und Z entwickeln

Als Fazit bleibt: Die führenden deutschen Unternehmen haben ihren Zukunftskurs ganz überwiegend definiert und auch festgelegt, welche Unternehmenskultur sie brauchen, um diesen Kurs verfolgen zu können. Das heißt nicht, dass alles Gold ist, was glänzt. Aber eine klare Orientierung ist vorhanden und damit eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, auch anzukommen. Viele mittelständische Unternehmen haben diesen Schritt noch nicht gemacht, werden dies aber bald machen müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und diesen Anschluss werden sie nicht als erstes bei Produkten und Dienstleistungen verlieren, sondern im Wettbewerb um neue Mitarbeiter. Überholte Unternehmenskulturen schrecken die Generationen Y und Z ab und machen Arbeitgeber unattraktiv. Auch das haben die großen Unternehmen bereits erkannt und entwickeln sich weiter.

 

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