Wenn Unternehmen über sich selbst berichten, wachsen die Bäume gerne in den Himmel. Weltmarktführer, hidden Champion oder Technologieinnovator sind fast noch bescheidene Charakterisierungen in diesem Kontext. Gerne werden auch einzigartige Produktqualität und besondere Kundenorientierung herausgestellt, um die Überlegenheit gegenüber dem Wettbewerb zu betonen. Doch ist nicht immer alles Gold was glänzt. Unternehmensleitbild (Corporate Identity) und Fremdbild (Corporate Image) sind nie vollständig kongruent, aber wenn sie zu weit auseinanderfallen, wird es problematisch. Volkswagen und die Deutsche Bank sind zwei prominente Beispiele, bei denen proklamierter Anspruch und erlebte Realität so stark divergierten, dass sie in die Krise gerieten. Wenn Unternehmensleitbild und Wirklichkeit auseinanderfallen, ist Handlungsbedarf gegeben. Fünf Schritte, mit denen Sie verhindern, dass Selbst- und Fremdbild dauerhaft zu stark voneinander abweichen.
Das Unternehmensleitbild braucht eine zielführende Positionierung
Orientierung zu geben, ist eine der zentralen Aufgaben von Management und Führungskräften. Wenn Unternehmen aber Leitbilder entwickeln, die zu ambitioniert sind, sorgen diese Leitbilder nicht für Orientierung, sondern stiften Verwirrung. Wer seine kompetitive Grundhaltung in eine Vision überführt, die jenseits aller Möglichkeiten liegt, vermittelt zwar einen hohen Anspruch – gleichzeitig aber auch fehlenden Realitätssinn. Daraus entwickeln sich Zielvorgaben, die auch bei höchstem Einsatz nicht zu erreichen sind – zumindest nicht auf legale Weise.
Wie wird es besser gemacht? Im Unternehmensleitbild soll die Vision ein Ziel aufzeigen, das ambitioniert aber nicht unrealistisch ist. Dieses Ziel ist erstrebenswert und überzeugt als Ziel, sich dafür zu engagieren. Weltmarktführer zu sein ist ein Ziel, das eine rein quantitative Orientierung vorgibt. Auch wenn es dazu sicherlich eine Reihe von anderen Faktoren wie Qualität und Kundenorientierung braucht. Dennoch löst das Streben im Unternehmensleitbild nach schierer Größe nur selten Begeisterung aus. Der Anspruch einer Vision sollte erkennbar darüber hinausgehen. Obwohl viele Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung schriftlich definiert haben, lehnen sich Visionen nur selten daran an. Dabei kann gerade dies sinnstiftend sein. Niemand wird leugnen, dass Unternehmen profitorientiert arbeiten müssen, um bestehen zu können. Aber wenn dieser Profit erzielt wird, weil ein Ziel verfolgt wird, dass einen gesellschaftlichen Beitrag leistet, der über die reine Gewinnmaximierung hinausgeht, kann das identitätsstiftend sein.
Kurz gesagt: eine gute Vision begeistert. Sie aktiviert Menschen und sollte niemals Grundlage für Druck und Repressalien sein.
Führungskultur ausbilden- Selbst- und Fremdbild hinterfragen
Es gibt Unternehmen, die funktionieren nicht wegen, sondern trotz ihrer Führungskräfte. In einer Umfrage ergab sich vor einiger Zeit eine denkwürdige Diskrepanz: Während drei Viertel der Führungskräfte glaubten, Begeisterung durch ihren Führungsstil zu transportieren, nahm dies nur gut ein Drittel der Mitarbeiter auch so wahr. Abweichungen zwischen Selbst- und Fremdbild sind auch bei Führungskräften normal. Aber auch hier gilt: wenn es nur noch geringe Schnittmengen gibt, besteht Handlungsbedarf. Wer in erster Linie von sich selbst begeistert ist, ruft bei seinen Mitarbeitern meist das Gegenteil hervor.
Selbstkritik wird in vielen Unternehmen eher als Schwäche denn als Stärke interpretiert. Eine Reihe von Unternehmensführern, die ihr Unternehmen jüngst in tiefe Krisen geführt haben, zeigten kaum Einsicht. Meist verteidigen sie ihre Arbeit auch dann noch, wenn längst juristisch Strafen verhängt sind und der Reputationsschaden nicht mehr zu verhindern ist.
Unternehmenskulturen, die durch einen solchen Managementstil geprägt werden, entwickeln häufig eine Führungskultur, die Kritik insgesamt kaum zulässt. Dies mag ein wichtiger Grund sein, warum Begeisterung empfunden, aber nicht tatsächlich transportiert wird. Kulturen, die keine Kritik dulden, entwickeln Mitarbeiter zu stummen Abnickern. Und wer am heftigsten nickt, hat oft die besten Chancen Führungskraft zu werden.
Kurz gesagt: Führung braucht eine Kultur der Offenheit, in der Kritik als Stärke und nicht als Schwäche empfunden wird. Das Unternehmensleitbild muss das berücksichtigen.
Feedback geben und abfragen
Doch wie kommt ein Unternehmen zu einer solchen Kultur? Ein effektiver Ansatz ist altbekannt, viel zitiert und selten gelebt: die Feedback-Kultur. Den Begriff kennt jeder. Damit etwas anzufangen, wissen aber nur wenige. Denn Feedback steht in vielen Unternehmen für eine Einbahnstraße, auf der der Chef dem Mitarbeiter Unangenehmes mitteilt. Feedback in die umgekehrte Richtung ist weder erwünscht noch vorgesehen. Das erklärt auch, warum Feedback in deutschen Unternehmen einen schlechten Ruf hat.
Ein erster Schritt in Richtung einer konstruktive Feedback-Kultur ist die Erkenntnis, dass Feedback nicht prinzipiell negativer Natur sein muss. Feedback bedeutet zunächst einmal, eine Rückmeldung zu geben und zu bekommen. Dies ist eine persönliche Rückmeldung, die auch als solche akzeptiert werden sollte. Sie vermittelt dem Gesprächspartner einen Fremdbildeindruck, der sich nicht mit der eigenen Wahrnehmung decken muss. Das heißt aber nicht, dass er deshalb falsch ist. Falsch und richtig sind in diesem Kontext schwierige Kategorien.
Interessanter als falsch oder richtig ist die Frage, wieso Selbst- und Fremdbild differieren. Die Antwort auf diese Frage wird auch Aufschluss darüber geben, weshalb Begeisterung so unterschiedlich empfunden wird. Und damit sind wir wieder beim Thema Kritik: kritisches Feedback ist keine Beleidigung und auch nicht despektierlich. Vielleicht unangenehm. Aber hauptsächlich auch nur dann, wenn man sich ertappt fühlt und nicht bereit ist, sein Verhalten zu ändern. Wer als Führungskraft bereit ist, kritisches Feedback als Chance zur Selbstreflexion anzunehmen, wird in vielen Fällen Respekt bekommen. Und schafft damit im Übrigen auch eine bessere Basis, um das eigene Feedback anzubringen.
Kurz gesagt: Wer andere kritisiert, muss sich auch der Kritik anderer stellen. Einbahnstraßen entwickeln sich andernfalls schnell zu Sackgassen.
Unternehmensleitbild und Wirklichkeit: Kommunikation ist der Schlüssel
Auch wenn die Erkenntnis vorhanden ist, dass eine Veränderungen notwendig ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass auch eine Veränderung stattfindet. Von der Erkenntnis zur Umsetzung ist es ein steiniger Weg. Die Bereitschaft, sich mit Themen wie Unternehmensleitbild, Vision, Leitbild und Kultur auseinanderzusetzen, ist meist unterentwickelt. Es braucht entweder eine starke Persönlichkeit im Unternehmen, die einen Corporate-Identity-Prozess ins Rollen bringt oder einen Anstoß von außen, der ihn unvermeidlich macht. Äußere Faktoren sind immer noch die Regel, obwohl immer mehr Unternehmen dazu übergehen, Veränderung als Teil des Geschäftsmodells zu verstehen, der in der Unternehmenskultur fest verankert werden muss.
Der entscheidende Faktor für einen erfolgreichen Leitbildprozess ist die Kommunikation. Es beginnt mit der Formulierung des Leitbilds und reicht bis zur Distribution der Inhalte in die Belegschaft. Veränderungsprozesse sind zuerst und vor allen Dingen Kommunikationsprozesse. Wo Veränderung schlicht angeordnet wird, ohne zu kommunizieren, verändern sich Prozesse, aber die Einstellungen bleiben unverändert. Bei nächster Gelegenheit erfolgt der Rückfall in alte Verhaltensmuster. Echte Veränderung erfordert auf alle Seiten die Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Das beginnt in der Unternehmensführung. Die Formulierung eines neuen Leitbildes verlangt eine genaue Analyse der Ist-Situation. Dazu gehört auch der Abgleich von Selbst- und Fremdbild.
Auch im weiteren Prozess ist der Dialog im Unternehmen der entscheidende Erfolgsfaktor. Um einen Change-Prozess initiieren zu können, müssen drei zentrale Aspekte in der Kommunikation angesprochen werden:
RATIO: Veränderung bedeutet Arbeit, die Sinn ergeben muss.
EMOTIO: Persönliche Überzeugung, dass eine Veränderung gut für den Einzelnen ist.
BEWUSSTSEIN: Das „Thema“ ist da. Kontinuierlich. Immer wieder.
Kommunikation muss deshalb rational überzeugen und emotional mitnehmen. Bedrohungsszenarien wie „Wer nicht mitmacht, fliegt raus“ sind der falsche Ansatz. Vielmehr geht es darum, zu überzeugen, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Prozesse, die aus Überzeugung und nicht aus Angst oder Zwang unterstützt werden, haben erhebliche bessere Erfolgsaussichten.
Kurz gesagt: Veränderung braucht Überzeugung und Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg.
Machen!
Zum Schluss und in aller Kürze die wichtigste Regel: Wo Veränderungsbedarf erkannt wird, muss gehandelt werden. Wenn zu lange gewartet wird, besteht die Gefahr einer Krise. Und aus einer Krisensituation heraus einen Veränderungsprozess zu gestalten, ist um ein vielfaches schwieriger als präventiv zu agieren. Das ist der effektivste Ansatz, um Unternehmensleitbild und Wirklichkeit möglichst kongruent zu halten.