Wenn nach den Faktoren gefragt wird, an denen Veränderungsprozesse scheitern, werden häufig Überlastung der Organisation, fehlende Veränderungsbereitschaft oder schlechtes Projektmanagement genannt. Eher selten kommt die Sprache auf den Faktor, der viel häufiger eine entscheidende Rolle spielt: Angst. Dabei hat Edgar Schein schon vor fast 20 Jahren erkannt, dass Widerstand gegen Veränderung normal und zu erwarten ist. Wichtig ist, dass bei den Betroffenen die Überlebensangst größer sein muss als die Angst davor, etwas neues lernen zu müssen. Das wiederum erfordert, die Lernangst zu reduzieren. Wird das erreicht, ist ein wesentlicher Faktor für einen erfoglreichen Veränderungsprozess gegeben: die Beteiligten erwerben neue Fähigkeiten.
Die meisten Veränderungsprozesse werden offiziell ausgerufen, wenn der Druck bereits sehr groß ist. Unternehmen tendieren generell dazu, langsam zu reagieren. Je größer sie sind, desto langsamer reagieren sie. Ist dann aber der Punkt erreicht, an dem das Steuer unbedingt rumgerissen werden muss, um nicht vollendens in Schieflage zu geraten, wird das in Management und Belegschaft zumeist als Zäsur empfunden. Und das schürrt Ängste.
Verständlicherweise werden deshalb Situation und Konsequenzen zunächst einmal negiert und ignoriert. Und auch wenn sich nach und nach die Erkenntnis durchsetzt, Veränderungen könnten geboten sein, damit das Unternehmen auch perspektivisch am Markt bestehen kann, heißt das nicht, damit wären alle Widerstände überwunden. Die Einsicht in eine Situation muss nicht verbunden sein mit der Einsicht in die daraus resultierenden Konsequenzen. Im Gegenteil: Schon manches Unternehmen musste die Segel streichen, bevor es überhaupt zur Umsetzung eines Change-Prozesses kam, weil die Diskussionen über die richtigen Maßnahmen zu lange gedauert hat.
Und auch diese Diskussionen sind in erster Linie Ausdruck von Angst: „Wenn schon Veränderung, dann nicht in meinem Bereich“ oder „Wenn wir das alles ändern, dann funktioniert unser Geschäftsmodell nicht mehr“ und ähnliches sind Ausdruck normalen Widerstands, der vor allem einen Hintergrund hat: die Angst davor, Neues zu erlernen und Bekanntes zu verlernen.
Lernangst reduzieren
Lernangst ist ein entscheidendes Hindernis in Veränderungsprozessen. Und zwar unabhängig von Hierarchieebenen. Die Ursachen von Lernangst sind unterschiedlich und lassen sich nicht pauschal einordnen. Einige tun sich schwer damit, zuzugeben, dass sie überhaupt noch etwas lernen müssen. Andere sehen auch mit neuem Wissen keine Perspektive für sich. Wieder andere empfinden Lernen als Zusatzbelastung. Und und und. Es gibt mehr Gründe als sich hier aufschreiben lassen.
Was heißt das für Veränderungsprozesse? Lernangst zu reduzieren ist eine wesentliche Voraussetzung, um einen wirklichen Change erreichen zu können. Menschen in einem Veränderungsprozess brauchen eine psychologische Sicherheit, um aktiv mitarbeiten zu können. D.h. es muss klar sein, warum etwas gelernt wird, und dass mit dem Lernen eine positive Perspektive verbunden ist. Dann ist die Überlebensangst Triebfeder für das Überwinden der Lernangst. Andernfalls gewinnt das Beharrungsvermögen, nach dem guten alten Motto „Wer nichts macht, macht auch nichts falsch.“
Positiv führen
Letzlich führen auch diese Erkenntnisse zurück zur Basisaufgabe eines Veränderungsprozesses: eine schlüssige Vision zu formulieren und zu vermitteln. Wer ein positives Ziel verfolgt und von diesem Ziel überzeugt ist, wird Herausforderungen und Widerstände ganz anders angehen als jemand, der sich gezwungen sieht, einen Prozess zu durchlaufen, dessen Sinn er nicht nachvollziehen kann. Wer die Gretchenfrage für eine Veränderung nicht schlüssig beantworten kann, wird mit einem Change-Prozess nur schwer zurecht kommen.
Einen Überblick über die Gestaltung von Leitbildprozessen finden Sie hier.